Wer an diesem Karfreitag-Spätnachmittag zur „Stunde unter dem Kreuz“ in die Michaelskirche mit der Erwartung wie jedes Jahr gekommen war, musste über diese knapp 1,5 Stunden dauernde Andacht überrascht sein. Der Zuhörer konnte nicht erahnen, welche karfreitägliche Wucht ihn erwartete. Diejenigen, die den Weg nicht in die Michaelskirche fanden, haben eine denkwürdige Kirchenveranstaltung verpasst! Pfarrer Christoph Tebbe und Kantorin Mihyun Brüchner hatten ein überwältigendes Programm gestaltet unter dem Leitthema „Der Kreuzweg“.

Die musikalische Interpretation „Der Kreuzweg“ stammt vom Hamburger Komponisten Andreas Willscher (*1955). Über 14 Kreuzweg-Stationen wird der Leidensweg Jesu von der Verurteilung zum Tode, der Kreuzigung bis hin zur Grablegung in beeindruckender Weise mit Hilfe der Orgelklänge dargestellt. Die Dramaturgie der 14 Teilstücke wurde durch den großartigen Klang der Van-Vulpen-Orgel imposant und auch bedrückend herübergebracht. Die vielfache Disharmonie der Akkorde und Läufe, die zum Teil beängstigende Tiefe der Töne und Klänge beschrieb absolut passend die Dramaturgie von vor über 2000 Jahren. Nichts für nur harmoniegewöhnte Ohren, aber wichtig und passend in der heutigen Zeit!

Musikalisch eingerahmt wurde „Der Kreuzweg“ von Johann Sebastian Bachs „O Mensch, bewein dein‘ Sünde groß“ zu Beginn und „Fantasie in g“ zum Ende.

Die so gewollte Wirkung wäre nicht erzielt worden, wenn nicht eine bestens aufgelegte Mihyun Brüchner der Orgel diese Klänge in grandioser, meisterhafter Art und Weise entlockt hätte. Vielen Dank für dieses Musikerlebnis! Sie erhielt dazu am Ende trotz Karfreitag viel Applaus!

Als Synergie zum musikalischen Teil passten hervorragend die von Pfarrer Christoph Tebbe betont nüchtern vorgelesenen Bibelstellen der Evangelisten, die einzelnen Stationen des Kreuzweges erläuternd. Die kurzen dazu vorgetragenen nachdenklichen Texte zu den Kreuzwegstationen von dem katholischen Theologen Gerhard Weisgerber (*1940) gingen den unterschiedlichen Sichtweisen der Evangelien nach.

Bei so viel beeindruckender Musik in der Michaelskirche war es erfreulich, dass am Ausgang für den Förderkreis für Kirchenmusik gesammelt wurde.

Anne-Dore und Gerd Quack